Kritische Bemerkungen zu Jeffrey Alexanders
Neubegründung der
soziologischen Theorie im Lichte der Methodologie Karl
Poppers.
Michael SchmidUniversität Augsburg
In den Jahren von 1982-1983 hat Jeffrey Alexander,
Professor für Soziologie an der
Universität of California, Los Angeles, ein
vierbändiges Konvolut erscheinen lassen, das
einen überaus ehrgeizigen Plan verfolgt: Die
soziologische Theorie soll aus ihrer
Zersplitterung in verschiedenartige, sich wechselseitig
bekämpfende Schulen erlöst und
in der Form einer einheitlichen Handlungstheorie
rekonstruiert werden. Alexander
verfolgt dieses Programm vermittels einer eingehenden
Untersuchung einer Reihe
klassischer' Theorien (der Werke von Marx, Durkheim, Weber
und Parsons), deren
jeweiligen Beschränkungen und Einseitigkeiten dazu
benutzt werden, die von ihm
favorisierte, vereinheitlichte 'theoretische Logik in der
Soziologie' (so der Obertitel aller
vier Volumina) kontrastreich zu dokumentieren. Sinn und
Verdienst einer solchen
Zielsetzung möchte ich ebensowenig kommentieren wie
deren Verwirklichungschancen,
obgleich, wie mir scheint, einige kritikwürdigen
Unzulänglichkeiten der Alexanderschen
Bemühungen unschwer ins Auge fallen
. Vielmehr möchte ich die Aufmerksamkeit auf
einen augenscheinlich ganz nebensächlichen Teilaspekt
des Alexanderschen
Unternehmens lenken, auf die im ersten Band ausführlich
diskutierte Überzeugung, daß
dessen Durchführung der Unterstützung einer
'postpositivistischen' Philosophie
bedürfe
. Mit ihrer Hilfe soll verhindert werden, daß
philosophische Probleme
ausschließlich dort identifiziert werden und diskutiert
werden, wo das Wechselverhältnis
von (empirischen) Verallgemeinerungen und empirischen
Befunden zur Debatte steht oderdie Beziehung zwischen
Theorien und ihrer Überprüfungsbasis, wodurch in der
Auffassung von Alexander nur ein sehr eingeschränktes
Verständnis der Problemlage
ermöglicht wird. Vielmehr geht es seiner Meinung nach
darum, die sehr viel
anspruchsvollere Fragestellung zu verfolgen, in welchem
Umfang und mit welcher
Berechtigung man bei der Erstellung von Theorien bestimmte
(innerhalb der
positivistischen und empiristischen Tradition zumeist
unbeachtet gelassene)
methodologische, ideologische, modellogische und vor allem
metaphysische
Voraussetzungen machen muß. Dies ist in letzter
Instanz gleichzusetzen mit der Frage
nach den Bedingungen der Möglichkeit von empirisch
gehaltvollen Theorien oder Thesen,
womit gleichzeitig ein eigenlogischer Problembereich
ausgegrenzt wird, der genau
insoweit eine autonome Behandlung beanspruchen darf, als
sich die Standards möglicher
Problemlösungen der empirischen Erfahrung nicht werden
entnehmen lassen.
Der Anerkennung dieses Sachverhaltes aber steht in den
Augen Alexanders
entgegen, daß die übergroßer Mehrheit aller
Soziologen die Bedeutung jener trans-empirischen
Bedingungen der Hypothesenbildung und -überprüfung
übersehen.
Alexander hält eine derartige Verkürzung der
wissenschaftlichen Reflexion für den
Auswuchs einer kollektiv wirksamen 'positivistischen
Verführung', der man
entgegenzutreten habe. Infolge eines solchen Schrittes
soll verständlich werden, daß die
entscheidenden Divergenzen zwischen sich widerstreitenden
soziologischen Schulen
nicht darin zum Ausdruck kommen, daß sie ganz
heterogene und bisweilen auch
divergente Teilbereiche der sozialen Realität
behandeln; jene Divergenzen liegen vielmehr
(auch und gerade) in der Verschiedenartigkeit jener
implizit mitverhandelten, nicht-empirischen Voraussetzungen
begründet, die der erforderlichen metatheoretischen
Klarstellungen wegen offen miteinander konfrontiert,
einander angeglichen und auf einen
gemeinsamen und verträglichen philosophischen Nenner zu
bringen sind, um das
übergeordnete Ziel, das soziologische Denken mit einer
einheitlichen 'theoretischen Logik'
zu versehen, zu erreichen. Unabdingbar für eine
ertragreiche Gegenüberstellung jener
nicht-empirischen 'presuppositions' aber ist - so
Alexanders mehrfach betonte
Überzeugung - eine neuartige, postpositivistische
Philosophie.
Es soll im Folgenden nicht darum gehen, die zentrale
Doppelthese Alexanders zu
bestreiten, wonach die soziologische Theorienbildung
trans-empirische Voraussetzungen
besitze und diese zu diskutieren seien, um zu einer
einheitlichen Auffassung dessen zu
gelangen, was die soziologische Theorienentwicklung
vorantreibe. Und ebensowenig
bedarf es einer gesonderten Betrachtung des Arguments, man
benötige zur Überwindung
der 'positivistischen Verführung' einer Philosophie,
die dazu befähigt sei, dem Einfluß
nicht-empirischer Überlegungen auf die Konstruktion
empirischer Theorien nachzugehen.
Alles dies sei als zutreffend zugestanden. Strittig
allerdings scheint mir die
Alexandersche Position in einem anderen Punkt zu sein:
Alexander bemüht sich um eine
Rekonstruktion der Frontlinien, die seinem Verständnis
nach eine positivistische
Philosophie von einer postpositivistischen trennen, und er
vertritt in diesem
Zusammenhang die These, daß die
Wissenschaftsphilosophie Karl Poppers eindeutig der
positivistischen Seite zuzurechnen sei. Alexander
begründet diese Zuordnung nicht
näher, scheint aber dem Glauben anzuhängen, daß
die Auseinandersetzung zwischen
Kuhn und Popper genau dies gezeigt habe, und sieht sich
überdies offenbar durch die
Beurteilungen Poppers seitens einiger Teilnehmer an dem
damaligen sogenannten
'Positivismusstreit in der deutschen Soziologie' zu seiner
Deutung ermuntert.
Ich will gänzlich davon absehen, Jeffrey Alexander
durch eine neuerliche
Rekonstruktion der Popper-Kuhn-Kontroverse und des
sagenumwobenen
Positivismusstreits über die damals tatsächlich
verhandelten Probleme zu belehren, um
auf diesem viel zu aufwendigen Wege seiner Meinung
entgegenzutreten, Popper sei mit
Gewinn für ein angemessenes Verständnis der
Problemlage als ein 'Positivist' zu
kennzeichnen. Gleichwohl kann ich andererseits nicht
empfehlen, seine Beurteilung der
Popperschen Philosophie unbesehen stehen zu lassen, denn
sie ist nachgerade falsch,
mehr noch: sie ist in einem hohen Grade irreführend.
Diese These möchte ich im
nachfolgenden plausibel machen, wobei ich mich von der
möglicherweise trügerischen
Hoffnung tragen lasse, daß sich eine Klarstellung und
Korrektur der mißglückten und
verfehlten Lokalisierung der Popperschen Methodologie im
Lager des Positivismus
insoweit lohnen kann, als auf diese Weise wenigstens
ansatzweise sichtbar wird, welche
von Alexander völlig übersehene Bedeutung Poppers
Denken für die Entwicklung und
Stützung seines eigenen Programms besitzen könnte. Zu diesem Zweck werde ich in
zwei getrennten Abschnitten die Alexanderschen
Rekonstruktionen der beiden konträren
wissesnchaftsphilosophischen Lager widergeben, um sodann zu
untersuchen, inwieweit
Popper die jeweils benannten Definitionsbedingungen des
positivistischen bzw.
postpositivistischen Standpunkts erfüllt.
Der Auffassung Alexanders nach beruht die Überzeugungskraft der positivistischen
Position auf vier Grundannahmen oder Postulaten und drei,
das letzte dieser Postulate
ergänzenden, Korollarien. Das erste Postualte geht
davon aus, daß zwischen
empirischen Beobachtungen und nicht-empirischen Aussagen
eine unüberbrückbare Kluft
bestehe; das zweite Postulat behauptet, daß wegen
dieser Kluft allgemeinere
intellektuelle Fragen, die als 'philosophische' oder
'metaphysische' zu bezeichnen sind,
innerhalb einer empirisch orientierten Disziplin keine
grundlegende Bedeutung gewinnen
können; das dritte Postulat beschreibt eine normative
Forderung, die sich aus den beiden
ersten ergibt. Dieser Forderung folgend sollte sich die
Soziologie um ein 'szientifisches'
Selbstverständnis bemühen, das wie jenes der
Naturwisssenschaften auf der Festlegung
beruhe, daß alle nicht-empirischen Bezüge zu
eliminieren seien. Dem vierten Postulat
zufolge können alle 'theoretischen' oder
'philosophischen' Probleme in korrekter Weise
unter Rekurs auf empirische Beobachtungen, die ihrerseits
keine (philosophischen) Fragen
aufwerfen, gelöst werden. Diesem letzten Postulat
entsprechen offenbar folgende
Präzisierungen: Ein erstes Korollar behauptet, daß
man allen theoretischen Problemen
dadurch asus dem Wege gehen kann, daß man allgemeine
Aussagen aus empirischen
Beobachtungen induziert; es gibt demnach Induktion und
damit enthalten die
allgemeinsten Annahmen, die ein Positivist vertreten hat,
in letzter Instanz nicht mehr
Bestandteile, als er seiner Beobachtungsbasis entnehmen
kann. Dem zweiten Korollar
folgend können alle Konflikte zwischen Theorien durch
empirische Tests entschieden
werden und damit - so formuliert das dritte und letzte -
gibt es keine eigenständigen
theoretischen Auseinandersetzungen und Divergenzen.
Ich möchte nicht untersuchen, ob diese Rekonstruktion es verdient als gelungen bezeichnet zu werden. Offenbar ist sie viel zu vage und in wichtigen Details unklar geraten. Wenn indessen unterstellt werden kann, daß die angeführten Postulate und ihre Folgesätze den wissenschaftsphilosophischen Positivismus widerspruchsfrei und hinreichend bestimmen, dann kann Popper kein Positivist sein. Ich belege diese These,indem ich die angegebenen Postulate der Reihe nach mit den jeweiligen Auffassungen Poppers konfrontiere.
Das erste Postulat ist unpräzise und läßt eine
Reihe unterschiedlicher Auslegungen
zu. Sollte damit der Tatbestand angesprochen sein, daß
einige (positivistische)
Philosophen der Überzeugung anhingen, daß sich
Beobachtungsterme und theoretische
Begriffe nicht aufeinander reduzieren lassen, dann wird man
sich in Erinnerung zu rufen
haben, daß Popper der Zwei-Sprachen-Theorie Carnaps
ebenso widersprochen hat wie
den korrespondierenden Auffassungen Neuraths und Schlicks. Alle empirischen
Aussagen enthalten unausrottbare theoretische Elemente,
weshalb es in dem Sinn genau
dieser Popperschen These keinen unüberbrückbaren
Hiatus zwischen empirischen
Beobachtungen und nichtempirischen Sätzen geben wird.
Dies gilt auch für die inverse
Formulierung des Postulats; wenn es die Vermutung
aussprechen sollte, daß Positivisten
darauf festgelegt seien zu leugnen, daß nichtempirische
Annahmen einen irgendwie
gearteten Einfluß auf die Produktion und/oder Akzeptanz
empirischer Beobachtungen
haben könnten, dann findet eine solche Leugnung in den
Einsichten Poppers nachweisbar
keine Stütze. Popper hat die These, derzufolge es eine
voraussetzungslose, und in
diesem Sinne reine Beobachtung geben könne, zeitlebens
verworfen
.
Indessen ist Alexanders Bestimmung der nicht-empirischen
Voraussetzungen
theoretischen Denkens ganz heterogen und umfaßt u.a.
auch (ideologische)
Bewertungen, wobei er davon auszugehen scheint, daß Positivisten
eine Trennung
zwischen Wert- und Sachaussagen nur akzeptieren, um
Bewertungen jeden Einfluß auf
den Gang der Wissensentwicklung abzusprechen. Da Popper in
der Tat daran festhalten
möchte, daß man zwischen Fakten- und Werturteilen
kategorial trennen solle
, müßte
man ihn demnach als einen Positivisten einstufen. Eine
solche Beurteilung übersieht
freilich, daß Popper zwar den (semantischen)
Unterschied zwischen Bewertungen und
Sachurteilen anerkennt
, ohne aber daraus die Folgerung zu ziehen, Werturteile
(aller
Art) spielten für die Erstellung inhaltlicher
Behauptungen keine nachweisliche Rolle; vom
baren Gegenteil wird einem die Lektüre von Poppers
'Open Society and Its Enemies'
jederzeit überzeugen können
.
Das zweite Postulat, demzufolge metaphysische Fragen
innerhalb einer strikt
empiristisch verstandenen wissenschaftlichen Disziplin
keine Bedeutung gewinnen
könnten, ist doppeldeutig. Es kann einmal meinen,
daß metaphysische Aussagen keinen
Sinn haben, der nach überkommener positivistischer
Lehrmeinung davon abhängt, daß
Aussagen empirisch verifizierbar sind. Diese Version eines
empirischen
Sinn(losigkeits)kriteriums hat Popper indessen nie
vertreten, sondern mit dem Hinweisabgelehnt, daß
erstens keine Verifikation (im logischen Sinne des
Begriffs) gebe und daß
die empirische Überprüfbarkeit einer Aussage kein
Kriterium ihrer semantischen
Bedeutung sein könne.
Die Alexandersche Formulierung des benannten Postulats kann
aber auch meinen,
daß Metaphysiken ohne inhaltlichen Einfluß auf die
praktisch-empirische Forschung seien.
Eine solche These hat Popper zu keiner Zeit verfochten und
einige seiner Schüler haben
sich eindeutig und von Popper unwidersprochen gegen sie
geäußert. Zwar hat sich
Popper darum bemüht, metaphyische Aussagen von
wissenschaftlichen zu trennen
,
dies aber nicht in der Absicht, damit jede Metaphysik ihres
Einflusses zu berauben,
sondern um diesen Einfluß methodologischen Regeln zu
unterwerfen. Popper hat, wenn
man so will, die Metaphysik methodologisiert. Mann kann
einen solchen Versuch als
unrealisierbar oder unerwünscht einschätzen, aber
ein derartiger Vorbehalt ist mit dem
Hinweis, Popper habe der Metaphysik keinen faktischen
Einfluß auf den Gang der
Wissenschaften eingeräumt, nicht zu stützen.
Daß der Positivismus sich, wie das dritte Postulat
vorsieht, darauf festlege, die
Soziologie sei dem Ideal der naturwissenschaftlichen
Forschung zu unterwerfen, welche
auf jede nicht-empirische Überlegung verzichte, mag
zutreffen. Indessen spiegeln sich
in diesem Postulat nicht Poppers Überzeugungen. Die
'Logik der Forschung', das einzige
systematische Werk Poppers, auf das sich Alexander glaubt
beziehen zu müssen,
behandelt die Frage nicht, inwieweit die
Sozialwissenschaften dem Vorbild der 'natural
science' zu folgen haben, und die Schriften, in denen sich
Popper zu dieser Frage äußert,
legen ihn eher auf die Meinung fest, daß die
Sozialwissenschaften jeden Szientismus zu
meiden hätten, um den Fallstricken des Historismus, des
Holismus und des Historizismus
zu entgehen. Um dies zu erreichen, empfiehlt ihnen Popper die Methode
einer
verstehenden, sogenannten 'situationslogischen'
Rekonstruktion, die das Handeln von
einzelnen Akteuren als ein rationales, problem- oder
situationsorientiertes Handeln
begreift, und über-individuelle Phänomene als
dessen aggregierte, nicht-intendierte
kollektive Konsequenzen
. Diese Überzeugungen könnten zwar ihrerseits
einer Kritik
unterzogen werden, die auf Alexandersche Argumente
zurückgreifen könnte, wonach es
voreilig sei, menschliches Handeln auschließlich als
ein 'rationales' zu verstehen
- mit
einem szientifischen' Selbstverständnis der
Sozialwissenschaften in dem Sinne, daß esdie
Berücksichtigung nicht-empirischer Aussagen verbiete,
sind sie indessen kaum zur
Deckung zu bringen. Ganz im Gegenteil dazu hat man die
nicht-empirischen Bestandteile
des Popperschen Theorieprogramms für die
Sozialwissenschaften mehrfach identifiziert
und sogar vorgeschlagen, es wegen deren Prädominanz als
ein 'metaphysisches' zu
bezeichnen
. Wenn man zu einseitigen Kennzeichnungen neigt, dann
sollte man
Poppers methodologische Vorschläge für die
Sozialtheorie als eine Abart der Hermeneutik
verstehen dürfen, die einige der zentralen Postulate
eines empirischen
Theorienverständnisses, etwa die Forderung nach einer
durchgängigen empirischen
Überprüfbarkeit allgemeiner theoretischer Aussagen,
in ganz postpositivistischer Weise
ausdrücklich suspendiert
.
Auch das vierte Postulat, demzufolge es keine
eigenständigen theoretischen
Probleme gäbe und empirische Sätze, ohne
philosophische Schwierigkeiten und
Vorbehalte befürchten zu müssen, behauptet werden
könnten, widerspricht Poppers
methodischen Überzeugungen. Man kann sich dies
vergegenwärtigen, indem man die
mit diesem Postulat verbundenen Korollarien betrachtet.
Zunächst die Annahme, es gäbe
Induktionen und daraus folgend die Möglichkeit, die
Eigenständigkeit theoretischer
Formulierungen gegenüber empirischen Daten zu leugnen.
Wenn eine der Popperschen
Leistungen die Zeiten überdauern sollte, dann ist es
seine Kritik am Induktivismus. Es
kann keinerlei Zweifel geben, daß es in der Popperschen
Methodologie der theoretischen
Wissenschaften keinen gültigen Modus induktiven
Schließens gibt, womit auch alle jene
Forderungen entfallen, die von der gegenteiligen Auffassung
ausgehen mögen. Damit
ist die Autonomie des theoretischen Denkens gegenüber
jeder noch so umfangreichen
'empirischen Basis' bestätigt und die beständige
Betonung Poppers, der
Erkenntnisfortschritt bedürfe einer kühnen, die
Beschränkungen jeder empirischen
Vorinformation übersteigenden theoretischen Fantasie,
verständlich
.
Das zweite Korollar, wonach zwischen konträren
theoretischen Annahmen vermittels
empirischer Tests entschieden werden könne, findet in
der Popperschen Methodologie
einigen Rückhalt, indessen ist die Alexandersche
Formulierung dieser Zusatzannahme zu
unbestimmt, um eine genauere Diskussion zuzulassen.
Deshalb nur soviel: Popper setzt
den Begriff des 'Tests' gleich mit dem nachhaltigen
Versuch, theoretische Behauptungen
zu falsifizieren, wobei er darauf vertraut, daß gelungene
Falsifikationen endgültigseien
. Diese letzte Teilthese hat er späterhin in dem Sinne
abgeschwächt, daß die
Akzeptanz von Falsifikatoren eines Hintergrundwissens
bedürfe, das zumindest eine
alternative Hypothese enthalte, die die verwendeten
Falsifikatoren stützt, wobei er
indessen zu keinem Zeitpunkt unterstellen wollte, daß
damit ein endgültig gesichertes
Wissen in Anspruch genommen worden sei. Eione solche
Sicherheit gibt es in keinem
Bereich menschlichen Wissens
. Auch jedes empirische (Test-)Wissen ist demnach
unausrottbar 'hypothetisch'. D.h. aber: Popper war niemals
testgläubig in dem Sinne,
daß er empirischen Tests einen gesonderten
epistemologischen Status zuerkannt hätte.
Daß Popper auf diese letzlich unabschließbare Suche
nach wahrem empirischem Wissen
mit einem milden Konventionalismus bezüglich der
Basissätze reagiert, mit deren Hilfe
Theoretiker Falsifikationen vorzunehmen wünschen
, fällt so deutlich außerhalb jedes
empiristischen Verständnisses des empirischen Wissens,
daß man sich fragen kann,
weshalb Alexander dies übersehen konnte. Dieser
deutlich konventionalistische
Charakter der Popperschen Basissätze hätte ihm
einen unmißverständlichen Hinweis
darauf geben können, daß Popper an die
Unmittelbarkeit oder die fraglose Gegebenheit
empirischer Daten, wie sie etwa die (empiristische) Theorie
der Sinnesdaten vorsieht und
die das Vertrauen in die letztentscheidende
Schiedsrichterfunktion von Tests hätte
untermauern können, nie geglaubt hat
. Aus genau diesem Grund fällt es ihm auch
nicht sonderlich schwer, bei der Entscheidung zwischen
metaphysischen Annahmen
jeden Rekurs auf solche empirische Tests zu meiden; man
kann solche nicht-empirischen
Aussagen auch beurteilen (und letztlich verwerfen), ohne
sie mit einer eh nicht
verfügbaren unmittelbaren und sicheren Erfahrung
konfrontiert zu haben
.
Alle Unterstellungen des zweiten Ergänzungssatzes treffen auf Poppers Position somit nicht zu.
Das das dritte Korollar eine logische Folge des zweiten
darstellt, dessen Gültigkeit
Popper durchgehend bestritten hat, kann er sich entgegen
der dort formulierten Annahme
jederzeit darauf berufen, theoretische Probleme als
autonome Probleme anerkannt zu
haben. Für metaphysische Fragen gilt dies a fortiori.
Popper hat die Autonomie des
theoretischen Denkens in seinem Spätwerk durch die
Einführung einer eigenständigen
und eigenlogischen Welt-3 propositionaler Gehalte
untermauert.
In der Summe betrachtet, hat er somit allen von Alexander angeführten Postulaten (jedenfalls zumindest einer deren möglichen Interpretationen) und deren Ableitungen widersprochen. Sofern diese Postulate eine positivistische Auffassung zweifelsfrei definieren, kann Popper demnach kein Positivist gewesen sein. War er statt dessen ein Postpositivist?
[Editor's Note: Michael Schmid geht dieser Frage im zweiten Teil seines Beitrages nach, den wir in der nächsten Ausgabe des Newsletter abdrucken.]